Trickreichtum: Die Wichtigkeit eines inklusiven Umfeldes jenseits der Unterschiede

Unser heutiger Artikel stammt ursprünglich von unseren italienischen Judge-Kollegen, genaugenommen von Irene Quintavalle. Sie erläutert die Bedeutung von Vielfalt und Inklusivität im Allgemeinen, überträgt diese auf das Magic-Spiel und veranschaulicht an Beispielen, wie wichtig dieses Thema auch bei Magic ist. Im Folgenden findet ihr die Übersetzung von Loïc Hervier.

Die Begriffe „Vielfalt“ (diversity) und „Inklusivität“ (inclusion) gehen oft Hand in Hand. Das ist gut so und muss so bleiben.

Versuchen wir zunächst diese beiden Begriffe einfach zu definieren: die Bedeutung von „Vielfalt“ ist das Einschließen aller Besonderheiten, die uns von anderen Personen unterscheiden, entweder mit denen wir geboren wurden, oder die wir entwickelt haben und nicht ändern können. Einige dieser Eigenschaften sind gut sichtbar – zum Beispiel eine körperliche Behinderung. Andere sind nicht sichtbar und möglicherweise versteckt, sind aber deshalb nicht weniger wichtig.

Der Begriff „Inklusivität“ drückt das Konzept aus, dass alle Eigenschaften bezüglich der „Vielfalt“ auf eine Weise, die sich auf ihre Umwelt günstig auswirkt, zusammengeführt und integriert werden sollten: in der Schule, im Arbeitsplatz und auch während gesellschaftlichen Freizeitanlässen wie Magic-Turnieren oder Spielnachmittagen in Läden. Der Zweck der Inklusivität besteht darin, Respekt zwischen einzelnen Individuen, die die Magic-Gemeinschaft bilden, zu fördern.

Es mag einfach klingen. Stattdessen ist es eine ständige Herausforderung, ein Anlauf zur persönlichen Verbesserung und eine Annäherung an die Anderen. Die erste Herausforderung wäre, erfolgreich die Schwierigkeiten der Anderen zu verstehen.

In diesem Zusammenhang hört man oft Sätze wie: „Was sollten die unterschiedlichen Personen tun, um sich besser zu integrieren?“ oder „Warum stellen keine Regeln sicher, dass sich die Menschen, die verschieden sind, der Mehrheit anpassen?“ Diese Fragen gehen aus dem aufrichtigen Wunsch hervor, dass jeder in demselben Umfeld integriert wird, jedoch sind sie völlig falsch. Sie entstehen aus einer Teilsicht des Problems, aus der Schwierigkeit des Verstehens der Unbequemlichkeiten, die sich die verschiedenen Personen stellen müssen, und aus der Suche nach einer äußeren Lösung, obwohl jeder dafür mitverantwortlich ist.

Eine Person, die einer Minderheit in einer wenig heterogenen Gruppe angehört, muss häufig bereits eine Reihe von Hindernissen überwinden, nur um hierhin zu gelangen. Man kann dann nicht fordern, dass sie allein und einseitig die Bürde der Eingliederung trägt.

Nehmen wir als einfaches Beispiel die Situation, in der sich eine Spielerin, die sich im Rollstuhl fortbewegt, bei einem Event befindet. Vielleicht wurde sie so geboren, vielleicht hat sie sich unlängst das Bein gebrochen, indem sie mit ihrem Fahrrad, nachts im Regen, entgegen der Fahrtrichtung gefahren ist. Die wahren Gründe ihres aktuellen Zustandes betreffen uns überhaupt nicht. Schon vor ihrer Ankunft am Event muss diese Person manche Probleme bewältigen, über die wir wenig Kontrolle haben. Wenn sie aber die Schwelle des Ladens überschreitet, ist es gerecht, dass die gesamte Gemeinschaft ihr gerne hilft. Würdet ihr eine solche Person draußen aus dem Laden lassen, weil sie wegen einer Stufe nicht eintreten kann? Würdet ihr eingreifen, ohne darüber nachzudenken, um ihr spontan dabei zu helfen, dieses Hindernis zu überstehen, das gering für euch, aber unüberwindbar für sie ist?

Es wäre niederträchtig und engstirnig, ihr zu sagen: „Da du weißt, dass es hier eine Stufe gibt, warum bringst du kein Brett mit?“ Sogar schlimmer: „Da du weißt, dass es hier eine Stufe gibt, warum bleibst du nicht zu Hause? Für uns ist die Stufe eigentlich kein Problem.

Hier kommt tatsächlich der schwierige Teil. Obwohl wir normalerweise an körperliche Behinderungen gewöhnt sind, sind wir oft noch nicht in der Lage, andere Situationen zu erkennen, die in den Bereich der Vielfalt gehören. Wir befinden uns dann in der schwierigen Lage, in der wir versuchen jemandem dabei zu helfen, ein Hindernis zu überwinden, das wir nicht sehen und deshalb nicht wissen, wie wir damit umgehen sollen. Was können wir also tun, um die unsichtbaren Stufen zu identifizieren? Zuerst müssen wir der jeweiligen Person zuhören, für die das betreffende Hindernis deutlich sichtbar ist. Bleiben wir unvoreingenommen und urteilen wir nicht zu schnell, wenn uns jemand auf eine mögliche Unannehmlichkeit aufmerksam macht, die wir niemals zuvor in Betracht gezogen hatten.

Stufen wir die Meinung und Probleme anderer weder als Unsinn noch als merkwürdige Laune ein, nur weil wir, im Gegensatz zu ihnen, mit diesen Umständen keine Probleme haben!

(Anmerkung des Übersetzers: In diesem Abschnitt spricht die Autorin ursprünglich nur über nicht intersexuelle Cis-Menschen.)
Nehmen wir jetzt ein weiteres häufiges Beispiel, basierend auf meiner persönlichen Erfahrung. Die Teilnahme an einem Magic-Turnier – sei es ein GP, ein PPTQ oder ein einfaches FNM – erfordert mehrere aufeinanderfolgende Stunden lang eine ständige Anwesenheit im Laden oder am Veranstaltungsort. Wenn dieser Ort keine angemessenen Toiletten für Frauen und Mädchen besitzt, kann das ein Problem werden. Eine schmutzige dunkle Toilette, deren Tür nicht schließt, ohne Toilettenpapier, ohne Wasser oder Seife, ohne Mülleimer, in dem Monatsbinden und Tampons entsorgt werden können, stellt für viele ein wirkliches Problem dar. Bitte versteht mich recht: Ich sage nicht, dass Männer und Jungen glücklich wären, so einen Ort zu betreten, ganz im Gegenteil. Wenn sie aber mal müssen, können sie das viel einfacher lösen, indem sie viel weniger mit der Toilette interagieren. Für eine Frau oder ein Mädchen ist es nicht so leicht. Wir passen uns daran sicherlich an. Ich selbst verreise immer mit jeder Art von im Handel erhältlichen Monatsbinden, ich habe mein eigenes echtes Turnier-Set. Aber ist das alles gerecht? Wenn ich eines Tages ohne meine Ausrüstung das Haus verlassen würde, wäre ich dazu verurteilt, all die dazu gehörigen und daraus resultierenden Unbequemlichkeiten zu ertragen.

Wenn ein Neuling den zarten Rausch seines ersten Turniers spürt, aber noch nicht auf alles vorbereitet ist, darf man ihr bzw. ihm legitimerweise sagen, dass sie bzw. er sich jetzt anpassen und für das nächste Mal vorbereitet sein soll, weil eine solche verdreckte Toilette für die meisten Menschen kein großes Problem ist?

Von Niemandem wird verlangt, den Mond vom Himmel zu holen. Niemand bittet ebenso darum, dass sich die Gemeinschaft für die Inspizierung aller Toiletten aller Läden stark macht, in denen FNMs organisiert werden. Aber das Problem existiert trotzdem und wir fordern, dass es als solches anerkannt wird. Als Endziel der Inklusivität sollen wir uns die Schlachten der Anderen zu Eigen machen, auch wenn sich diese Kämpfe auf einige Probleme beziehen, die uns nicht betreffen.

Dieser Weg ist überdies gefährlich, weil selbst Übereifer und extremer Hilfsdrang ein zweischneidiges Schwert werden können, wenn Hilfsversuche zu aufdringlich werden.

Erinnert ihr euch an das obige Beispiel der Person im Rollstuhl? Der Grund, weshalb sich diese Person in diesem Zustand befindet, geht uns überhaupt nichts an. Wenn sie es will, wird sie ihn uns erklären. Wir müssen keine moralischen Richter sein und uns nicht anders verhalten, je nachdem wie dieses Problem entstanden ist, egal ob „sie es wohl verdient hat“ oder nicht. Es gibt keine Anleitung, die alle möglichen Fälle abdeckt und uns anweisen, was wir unter allen Umständen tun oder sagen sollen. Wir alle lernen ständig, und zum Zweck dieses Lernens müssen wir vor allem erfolgreich die Anderen verstehen und die spezielle Bedürfnisse von denjenigen begreifen, auch wenn deren Bedürfnisse sich von unseren unterscheiden. Dadurch setzen wir an vorderste Stelle den Wunsch, eine für alle offene Gemeinschaft zu schaffen, in der sich jeder wohl fühlt.

Dieser Beitrag hat den Zweck, verständlich zu machen, dass die Unannehmlichkeiten der Anderen, nicht nur nach unseren eigenen persönlichen Erfahrungen beurteilt werden sollten: Wenn wir auf eine Thematik stoßen, die jemandem Probleme bereitet, sollten wir uns unvoreingenommen dessen Begründung anhören, ohne zu aufdringlich zu sein. Über einige bestimmte Themen zu sprechen, kann ihr bzw. ihm bereits peinlich oder unangenehm sein, deshalb sollten wir versuchen, die Situation nicht zu verschärfen.

Das ist keine einfache Sache, und die Lösung liegt nicht immer in Reichweite, aber Empathie und Zusammenarbeit sind die beiden Schlüssel zum Erfolg.

Anmerkung des Übersetzers: Ich empfehle Interessenten und Italienisch-Verstehenden sehr, auch diese zwei Beiträge der italienischen Kollegen zu gleichen Themen zu lesen.

http://www.italianmagicjudges.net/article-2643

http://www.italianmagicjudges.net/index