Das Einmaleins des Konfliktmanagements

Dieser Artikel stammt von Ivan Petkovic

Dieser Artikel stammt von Ivan Petkovic

Konflikt ist ein Wort mit mehreren, kulturabhängigen Bedeutungen. In einigen Kulturen ist “ein Konflikt fortsetzen” ein Zeichen, dass man sich mit anderen beschäftigt. In manchen Kulturen wird versucht, jeglichen Konflikt zu vermeiden. Auch kann in einigen Kulturen ein Konflikt schon etwas kleines wie eine Meinungsverschiedenheit bedeuten, in anderen spricht man erst von Konflikten, wenn die Situation schon eskaliert ist. Egal, wie es definiert ist, wir werden in unserem Leben früher oder später mit Konflikten konfrontiert werden. Deshalb werde ich, bevor wir uns mit Konfliktmanagement und der Erschaffung einer gefahrlosen Umgebung für produktive Konflikte beschäftigen, meine Definition eines Konfliktes erläutern:

Jede Meinungsverschiedenheit, egal wie klein, wird im Rahmen dieser Artikelserie als Konflikt gesehen. Ein Konflikt tritt auf, wenn zwei oder mehr Parteien sich über den Besitz (Eigentumsrecht) von etwas streiten, das nicht ausreichend vorhanden ist.

Auch wenn du in einer Kultur lebst, die Konflikten ablehnend gegenüber steht, können diese trotzdem positive Aspekte haben. Eine der nützlichsten Seiten von Konflikten ist, dass eine oder mehrere Parteien die Welt unterschiedlich wahrnehmen. Wenn wir es schaffen, diese unterschiedlichen Sichtweisen von “Wer hat Recht?” zu “Vereinen der unterschiedlichen Blickwinkel zu einem Gesamtbild” zu bringen, haben wir etwas gewonnen. Meinungsverschiedenheiten verändern unsere Perspektive, indem sie uns andere Sichtweisen aufzeigen. Im Gegensatz dazu verengen Zustimmung und Konsens unseren Blickwinkel. Falls du noch mehr über die Erweiterung oder Verengung der Perspektive wissen möchtest, kannst du nach “narrow framing cognitive bias” or “what we see is all there is” googlen.

Alle möglichen Konflikttypen befinden sich auf einem so genannten Konfliktspektrum, welches ich nun vorstellen werde.

 

Konfliktspektrum

Wenn wir versuchen, alle möglichen Stufen der Konflikteskalation auf einer Linie vom wenigsten bis zum meisten Aggressiven aufzutragen, erhalten wir eine Linie vom passiven zum offenen Konflikt.

Ein passiver Konflikt bedeutet, dass an der Oberfläche alles in Ordnung ist, aber insgeheim zwischen den Parteien ein Problem besteht. Das kann sogar beide behindern, solange der Konflikt nicht sichtbar oder nachvollziehbar ist. Es kann aber auch passieren, dass eine Partei versucht, die andere auf für diese nachteilhafte Art zu manipulieren. “Wir konnten ja wirklich nicht wissen, dass es für sie schlecht ausgehen wird, oder?” Da ein offener Konflikt in der Geschäftswelt (und bei den meisten Organisationen) als unprofessionell angesehen wird, ist dieser Konflikttyp heutzutage dominant.

Wie zuvor erwähnt liegt am anderen Ende des Spektrums der offene Konflikt, oft in Form physischer Aggression. Man könnte sagen, dass “mit harten Bandagen” gekämpft wird. Kriege sind ein Extremfall dieses Konflikttyps. Der Hauptunterschied zwischen einem passiven und einem offenen Konflikt liegt darin, dass im passiven Fall die andere Partei – und die direkte Umgebung – nicht einmal wissen muss, dass es einen Konflikt gibt.

Und wie hilft uns das jetzt auf unserem Weg zu gefahrlosen und produktiven Konflikten?

Hmmm, es zeichnet uns eine Art Karte. Um einen produktiven und gefahrlosen Konflikt zu haben, dürfen wir uns an keinem Ende des Spektrums befinden und das ist schwer! Warum? Weil es, kurz gesagt, entgegen der Natur ist. Um es wissenschaftlicher klingen zu lassen, benutze ich ein paar Ideen aus der Systemtheorie, die sagen, dass jedes System nur dann in sich selbst stabil ist, wenn sein Verhalten in einem Extrem liegt. Und jeder Versuch, ein System davon abzuhalten, in ein Extrem abzurutschen, kostet Energie, um es von dieser natürlichen Tendenz abzuhalten. Anders gesagt: Es ist leicht, immer passiv oder physisch aggressiv zu sein. Man muss keine Entscheidung treffen. Falls wir also jemandem gegenüber physisch aggressiv sind, “schlagen wir zu”. Wir müssen nicht nachdenken.

Was wir bisher gelernt haben:

  • Damit ein Konflikt produktiv sein kann, sollte er in der Mitte und nicht an den Rändern des Spektrums zwischen passivem und offenem Konflikt liegen.
  • Den Konflikt in der Mitte des Spektrums zu halten ist schwer, da der Konflikt eine natürliche Tendenz hat, sich auf ein Extrem zuzubewegen. Das heißt, wir müssen uns anstrengen, um ihn in der Mitte zu halten.

Ich möchte auch noch einen dritten Punkt hinzufügen: Falls wir einem Konflikt begegnen, der an einem Extrem liegt (oder näher am Extrem als an der Mitte), müssen wir ihn in die Mitte schieben, um ihn in den produktiven Bereich zu bringen.

Ja, das bedeutet (und ich habe es schon oft gemacht), dass ich als Mediator, der einen passiven Konflikt lösen will, diesen zuerst ans Licht bringe. Das heißt, dass ich ihn (in einer kontrollierten Umgebung) anfache. Deshalb bin ich in diesem Fall offen aggressiv, indem ich zum Beispiel provoziere. Andererseits heißt das auch, dass meine erste Aufgabe bei einem offenen Konflikt die Entschärfung der Situation ist. Eine der Standardmethoden besteht darin, die Emotionen (und das Recht auf Emotionen) der aggressiven Personen anzuerkennen. Ein Beispiel könnte sein: “Ich sehe, dass diese Situation für dich beunruhigend ist und das ist okay. Hilf mir bitte, dich zu verstehen.” Was ich nicht tue (und auch du nicht tun solltest) ist, etwas zu sagen wie “sei nicht so wütend/emotional”, da die andere Person sich dadurch missverstanden fühlt und du ihren Emotionen die Berechtigung absprichst. Das eskaliert die Situation noch weiter und macht dich selbst zum Teil des Konflikts, was du natürlich vermeiden solltest.

Alles zum Konfliktspektrum ist auf dem folgenden Bild zusammengefasst:

Lasst uns diese Einleitung mit der Zusammenfassung der Hauptpunkte beenden:

  • Verschiedene Kulturen haben verschiedene Einstellung gegenüber Konflikten (und das ist vollkommen in Ordnung).
  • Trotzdem kann ein bewältigter Konflikt sinnvoll sein.
  • Es wird immer Konflikte geben. Egal, wie sehr du oder die Kultur sie versucht zu vermeiden.
  • Wir können im Konfliktspektrum sehen, wo sich die Konfliktparteien befinden. Das gilt auch, wenn wir selbst in einem Konflikt sind.
  • Wir versuchen, den Konflikt in die Mitte des Konfliktspektrums zu schieben. Das erreichen wir, indem wir bei einem passiven Konflikt eskalierend bzw. bei einem offenen Konflikt deeskalierend eingreifen.

Das reicht erstmal für den ersten Teil. Falls du bis zum nächsten Artikel dieser Serie eine Übung machen möchtest, habe ich eine für dich.

Analysiere den letzten Konflikt, den du hattest (egal, ob er schon beigelegt wurde oder nicht). War es ein passiver oder ein offener Konflikt? Was hast du gemacht (falls überhaupt), um ihn in die Mitte zu schieben?

Falls du möchtest, kannst du deine Situation bei den Kommentaren schildern (Anm. der Red.: Schreibt eure Kommentare bitte unter den Original-Artikel). Ich lese sie regelmäßig und werde mich gerne, so meine Zeit erlaubt, am Gedankenaustausch beteiligen

Bis zum nächsten Mal, pass auf dich auf!