Gleißender Lichtschein: Priorität

Falls ihr euch schon immer gefragt habt, warum es nicht möglich ist, dass ihr einen gegnerischen Planeswalker nach dem Betreten des Spielfeldes zerstören könnt, noch bevor er eine seiner Loylitätsfähigkeiten einsetzt, dann seid ihr hier genau richtig. Denn heute betrachten wir das Prinzip und die Funktionsweise der Priorität, ein System, durch das bestimmt wird, wann wer etwas spielen kann.

Magic ist in seinen Tiefen ein ziemlich komplexes Spiel, aber an der Oberfläche doch simpel genug, dass Neulingen ein guter Einstieg möglich ist. Man lernt, dass man die meisten Zaubersprüche nur wirken kann, wenn man in der eigenen Hauptphase und der Stapel leer ist. Jedoch gibt es auch Spontanzauber (und Karten mit der Fähigkeit Aufblitzen) und aktivierte Fähigkeiten, die du zu fast beliebigen Zeitpunkten wirken bzw. aktivieren kannst. Gäbe es diese nicht, wäre Magic ein gutes Stück einfacher, aber leider auch nicht mehr so interaktionsreich. Denn schließlich wollen wir spontan in die Handlungen des Gegners eingreifen, auch wenn wir gerade nicht am Zug sind. Und wir wollen im Kampf unsere Kreaturen verstärken und/oder beschützen, ohne dass der Gegner bereits in der Hauptphase weiß, was ihn erwartet. Doch wer darf zuerst etwas spielen? Und wann kann ich auf gegnerische Zauber reagieren?

Wie im echten Leben will man nicht, dass zwei Leute gleichzeitig sprechen. Im Alltag gelingt uns das meist recht gut; wenn es jedoch zu unübersichtlich wird, z. B. auf großen Konferenzen, gibt es jemanden, der es einzelnen Personen gestattet, jetzt zu reden. Er wacht quasi darüber, dass nicht alles durcheinander gerät, nicht alle gleichzeitig ihre Fragen stellen etc.. In Magic gibt es dafür das System der Priorität. Nur wer diese hat, darf etwas spielen, etwas aktivieren oder bestimmte Sonderaktionen durchführen. Schauen wir uns dies im Detail an.

Wann erhält ein Spieler Priorität?

Hierbei ist es entscheidend, ob man der aktive Spieler oder der nichtaktive Spieler ist, denn der aktive Spieler (also der, dessen Zug gerade ist), bekommt immer zuerst Priorität und dies zu den folgenden zwei Ereignissen:

Automatische Spielzug-Aktionen („turn-based actions“) sind z. B. das Ziehen der Karte im Ziehsegment, das Legen einer Sagenmarke auf eine Sagenverzauberung zu Beginn der ersten Hauptphase oder das Deklarieren der Angreifer im Angreifer-Deklarieren-Segment. Dadurch ausgelöste Fähigkeiten (z. B. „Immer wenn du eine Karte ziehst,…“) oder verzögert ausgelöste Fähigkeiten, die zu Beginn dieser Phase ausgelöst werden, gehen dann auf den Stapel. Erst danach erhält der aktive Spieler Priorität und könnte beispielsweise auf die ausgelösten Fähigkeiten reagieren. Segmente, in denen man keine Priorität erhält, sind das Enttappsegment und normalerweise das Aufräumsegement, wobei letzteres davon abhängig ist, ob dort Fähigkeiten ausgelöst wurden. Ist dies der Fall, beginnt nach diesem Segment ein weiteres Aufräumsegment, und zwar solange, bis keine Fähigkeiten mehr auslösen.

Diese Regel ist besonders wichtig. Sie ist auch der Grund für das eingangs erwähnte Beispiel:

Du hast Priorität und wirkst einen Planeswalkerzauberspruch, dein Gegner hat Vraskas Verachtung auf der Hand. Der Gegner kann seinen Zerstörungszauber noch nicht in Reaktion auf deinen Zauber spielen, da der Planeswalker ja erst noch auf dem Stapel und noch nicht im Spiel ist. Und Vraskas Verachtung ist nun mal kein Neutralisierungszauber, benötigt also ein Ziel im Spiel. Dein Gegner muss also warten, bis dein Planeswalker das Spiel betritt, sprich, bis dein Spruch verrechnet wurde. Durch die obige Regel bekommst du aber nach dem Verrechnen eines Zauberspruchs als erster Priorität. Du kannst also eine Planeswalkerfähigkeit aktivieren. Erst jetzt kann dein Gegner, sofern du nichts weiteres machen möchtest (dazu gleich mehr), darauf reagieren und den Planeswalker zerstören. Die Fähigkeit wird trotz des Ablebens des Planeswalkers danach noch verrechnet.

Durch diese Regel sind auch so manche Tricksereien mit dem Stapel möglich, die einem zunächst vielleicht etwas unintuitiv erscheinen:

Beispiel: Du kontrollierst zwei Mal das Amulett der Energie, dass die ausgelöste Fähigkeit besitzt, deine getappt ins Spiel kommenden bleibenden Karten zu enttappen. Spielst du nun einen Simic-Gildeneingang, lösen beiden Amulette aus, die Fähigkeit geht entsprechend zwei Mal auf den Stapel. Da du immer Priorität bekommst, nachdem ein Zauber oder wie in diesem Fall eine Fähigkeit verrechnet wurde, kannst du nach dem Verrechnen der Enttappfähigkeit des ersten Amuletts dein Land tappen, um Mana zu produzieren. Die Fähigkeit des zweiten Amuletts wird dann dein Land erneut enttappen. Somit hast du ein Extra-Mana produziert. Aktuell wird dieses Prinzip auch bei Decks mit Nexus des Schicksals und Wilde Renaturierung ausgenutzt.

 

Wann genau darf der nichtaktive Spieler denn nun etwas spielen?

Die folgenden beiden Regeln geben Aufschluss:

Der nichtaktive Spieler erhält also Priorität, wenn der aktive Spieler passt, also nichts weiter dem Stapel hinzufügen möchte. Wenn der nichtaktive Spieler etwas machen (also nicht ebenfalls passen) möchte, gilt für ihn auch die dritte Regel, er kann jetzt also auch mehrere Sachen hintereinander dem Stapel hinzufügen. Wenn dieser dann anschließend passt, geht die Priorität wieder zum aktiven Spieler, er könnte ja auf die gespielten Sachen des Gegners ebenfalls reagieren wollen. Das wechselt so lange hin und her, bis beide nacheinander passen. Damit kommen wir zur letzten wichtigen Regel:

Falls der Stapel nicht leer ist, gelangen wir wieder zur 2. Regel und der Spaß beginnt von Neuem.

Beispiel: Du kontrollierst einen Furchteinflößender Schatten und hast noch drei ungetappte Sümpfe. Du weißt, dass der Gegner Bombardieren auf der Hand hat. Dein Gegner hat zudem keine Blocker und nur noch 6 Lebenspunkte. Wie gewinnst du nun das Spiel in diesem Zug?
Der letzte Zeitpunkt, deinen Schatten mit seiner eigenen Fähigkeit zu pumpen, ist das Blocker-Deklarieren-Segment. Durch Regel 1 erhältst du als erstes Priorität. Wenn du jetzt drei mal seine Fähigkeit aktivierst und dann die Priorität abgibst, reagiert deine Gegner mit dem Schadenszauber. Da dieser zuerst verrechnet wird, stirbt dein Schatten. Statt also von Regel 3 Gebrauch zu machen, nutzt du lieber die 2. Regel aus. Du aktivierst die Fähigkeit einmal und passt. Wenn dein Gegner mit dem Bombardieren reagiert, kannst du wiederum reagieren, seine Fähigkeit noch zwei Mal aktivieren und ihn auf 5/5 pumpen, bevor das Bombardieren verrechnet wird. Wenn er auch passt, wird die Fähigkeit verrechnet, dein Schatten ist 4/4. Dank Regel 2 erhältst du wieder Priorität und aktivierst die Fähigkeit ein zweites Mal. Hier wieder das gleiche Spiel. Reagiert der Gegner, reagierst du auch. Passt er, ist dein Schatten 5/5 und nun außerhalb der Bombardierreichweite; das Letzt Mal kannst du dann bedenkenlos aktivieren, dein Gegner stirbt im Kampfschadenssegment.

Nehmen wir das letzte Beispiel und modifizieren es etwas: Statt deines Schattens hast du eine 3/3 Kreatur ohne weitere Fähigkeiten, auf der Hand jedoch einen Riesenwuchs. Dein Gegner hat wie zuvor das Bombardieren auf der Hand. Was tust du nun? Hier gibt es leider keine Möglichkeit, siegreich in dieser Runde zu sein. Wir sind wieder im Blocker-Deklarieren-Segment. Da du weißt, dass dein Gegner auf den Riesenwuchs reagieren kann, spielst du ihn nicht und passt. Dein Gegner hat ebenfalls keinen Zwang, sein Bombardieren einzusetzen und passt ebenfalls. Da der Stapel leer war und beide Spieler gepasst haben, geht das Spiel in das nächste Segment (Regel 5). Du hast keine Gelegenheit mehr, deinen Riesenwuchs vor dem Kampfschadensegment doch noch zu wirken. Den Gegner aus der Reserve zu locken funktioniert also nicht.

Wer braucht schon Priorität?

Es gibt einige Fähigkeiten und Aktionen, die automatisch durch die Spielregeln generiert und von ihnen bzw. auch von Spielern durchgeführt werden. Diese geschehen unabhängig davon, ob jemand Priorität hat oder nicht, sind aber dennoch indirekt an sie gebunden. Konzentrieren wir uns zunächst auf die Fähigkeiten. Wie bereits gelernt, benötigt man für das Aktivieren aktivierter Fähigkeiten Priorität. Ausgelösten Fähigkeiten ist dies jedoch egal, sie lösen aus, sobald das Auslöseereignis eintritt, einschließlich während des Wirkens eines Zauberspruchs, des Aktivierens einer Fähigkeit oder der Verrechnung eines Zauberspruchs oder einer Fähigkeit. Sie gelangen jedoch erst auf den Stapel, sobald ein Spieler Priorität erhalten würde (siehe auch Regel 1).

Beispiel: Du kontrollierst einen Merropportunist und Taigam, Sidisis rechte Hand, deine Gegnerin einen Mittelpunkt der Ewigkeit (Eon Hub). Wann kannst du deine Gegnerin eine Karte abwerfen lassen, nachdem dein Meervolk im Enttappsegment enttappt wurde?
Du kannst dir vielleicht schon denken, dass die Segmentüberspring-Karten nicht ohne Grund in diesem Beispiel sind. Weiter oben haben wir gelernt, dass während des Enttappsegments kein Spieler Priorität erhält. Fähigkeiten, die während dieses Segments ausgelöst werden, werden üblicherweise dann im Versorgungssegment auf den Stapel gelegt, da, wie wir gerade erfahren haben, ausgelöste Fähigkeiten auf den nächsten Zeitpunkt warten, wenn ein Spieler Priorität erhalten würde. Nun aber gibt es für dich kein Versorgungssegment durch den Mittelpunkt der Ewigkeit, und auch kein Ziehsegment aufgrund deines Taigams. Du erhältst also erst wieder in deiner ersten Hauptphase Priorität. Hier wird also endlich die Fähigkeit auf den Stapel gelegt und du kannst deine Gegnerin eine Karte abwerfen lassen.

Eine kleine Extrawurst bekommen übrigens die Manafähigkeiten (diese können aktivierte als auch ausgelöste Fähigkeiten sein). Für deren Timing schau dir bitte diesen Artikel an.

Bleiben noch statische Fähigkeiten. Diese beeinflussen das Spiel kontinuierlich, für sie gilt keine Priorität. Es wäre auch irgendwie nicht sinnvoll, wenn deine Kreaturen durch Benalischer Feldmarschall nur während deiner Prioritätszeit die +1/+1 erhalten würden.

Wenden wir uns den „Aktionen“ zu. Darunter fallen die bereits unter der 1. Regel erwähnten „automatischen Spielzug-Aktionen“ (turn-based actions), die zu Beginn und auch am Ende von Segmenten abgearbeitet werden. Sie finden immer statt, bevor ein Spieler Priorität in diesem Segment bzw. dieser Phase erhalten würde. Die automatische Spielzug-Aktion am Ende eines Segments bzw. einer Phase betrifft das Entfernen ungenutzten Manas aus dem Manavorrat. Nach dieser Aktion erhält kein Spieler Priorität.
Namentlich leicht zu verwechselnd schauen wir uns jetzt die „automatischen Spielstatus-Aktionen“ (state-based actions) an. Diese überprüfen, wie der Name schon sagt, den Spielstatus und führen dann zu bestimmten Aktionen. Es gibt so einige automatische Spielstatus-Aktionen, z. B., dass eine Kreatur mit 0 Widerstandskraft oder mit notiertem Schaden größer oder gleich der Widerstandskraft in den Friedhof gelegt wird, oder das In-den-Friedhof-Legen durch die Legendenregel, oder, dass du mit 0 oder weniger Lebenspunkten das Spiel verlierst, und noch viele mehr. Automatische Spielstatus-Aktionen werden auch jedes Mal überprüft, bevor ein Spieler Priorität erhalten würde, jedoch nicht wie das Auslösen von ausgelösten Fähigkeiten während des Aktivierens einer Fähigkeit oder der Verrechnung eines Zauberspruchs oder einer Fähigkeit.

Beispiel: Du hast fünf Handkarten, wirkst Dunkler Handel und kontrollierst ein Schleierkrokodil (Veiled Crocodile) und einen Unwettergeist. Stirbt letzterer, da du zwischenzeitlich keine Karten auf der Hand hast und wird das Krokodil zu einer Kreatur? Hier müssen wir analysieren, welche Fähigkeiten und Aktionen anzuwenden wären. Der Unwettergeist hat eine eigenschaftsdefinierende Fähigkeit (eine Unterkategorie statischer Fähigkeiten, die in allen Zonen wirkt), die seine Stärke und Widerstandskraft beeinflusst. Weiter oben haben wir bereits erfahren, dass statische Fähigkeiten kontinuierlich wirken, d. h., während des Verrechnens von Dunkler Handel wird dein Geist einen kurzen Moment lang 0/0 sein. Dies würde eigentlich die automatische Spielstatus-Aktion auf den Plan rufen, dass eine Kreatur mit 0 oder weniger Widerstandskraft stirbt. Während des Verrechnens von Zaubersprüchen erhält jedoch kein Spieler Priorität, d. h. hier werden auch keine automatischen Spielstatus-Aktionen durchgeführt. Erst nach dem Verrechnen erhältst du wieder Priorität, dann aber hast du drei Karten auf der Hand, dein Geist überlebt.
Bekommt das Krokodil die leere Hand mit? Ja tut es, denn ausgelöste Fähigkeiten können auch währende des Verrechnens von Zaubersprüchen auslösen. Zur Kreatur wird es jedoch erst, nachdem die Fähigkeit auf den Stapel gegangen (also bevor du das nächste Mal Priorität erhalten würdest, sprich nach dem Verrechnen von Dunkler Handel) und verrechnet worden ist.

Schlusswort

Wie wir wieder einmal sehen, steckt hinter der weichen Oberfläche der Priorität ein doch nicht zu unterschätzender harter Kern. In den allermeisten Magic-Partien bemerken wir sie aber gar nicht. Dort reicht es, dass wir den Stapel verstehen und dass man auf die Aktionen des Gegners reagieren kann. Wir sagen auch nicht explizit, dass wir passen, damit das oberste Objekt des Stapels verrechnet wird oder damit ein Segment bzw. eine Phase endet. Vieles passiert im natürlichen Miteinander oder durch Fragen/Aussagen wie „Willst du noch etwas spielen, bevor ich angreife?“ , „Schaden?“, „Dein Zug.“ usw.. Diese gelten als verbindliches Passen. Und falls es doch zu schnell geht und nicht explizit gefragt wurde, ob man noch etwas spielen möchte, ist es legitim einzuhaken, bspw. mit „Bevor du angreifst,…“, „Noch vor dem Schaden,…“ , „Am Ende deines Zuges möchte ich…“ etc.. Die Realität der Priorität kommt dann erst bei kniffligeren Fragen zum Einsatz (quasi alle Beispiele in diesem Artikel).
Am Ende auch noch ein kurzer Hinweis für Multiplayer-Runden: Hier gelten natürlich alle zuvor genannten Regeln. Wenn ihr euch Regel 4 anschaut, wandert die Priorität reihum und alle Gegner müssen in Zugreihenfolge passen, damit das oberste Objekt des Stapels verrechnet wird bzw. das Segment oder die Phase endet. Aber auch dies wird in der Praxis wohl seltenst im Detail praktiziert.

Falls jetzt noch Fragen zur Priorität aufkommen sollten, stellt sie gerne in den Kommentaren. Bis zum nächsten Mal!